Sprachdiagnose und Sprachfehler

Sprachfehler diagnostizieren und korrektiv damit umgehen

Der Diagnoseradar Der Diagnoseradar

Das informelle Diagnostizieren und Evaluieren im Unterricht ist für das Sprachlehren unerlässlich. Nach dem Prinzip der Erfolgsorientierung und dem Prinzip der kalkulierten Herausforderung ist es zwingend, den Sprachstand permanent zu diagnostizieren. Was bleibt also der praktizierenden Lehrkraft? Ihr bleibt das informelle Diagnostizieren und Evaluieren im Unterricht. Das ist ein Verfahren, das jede Lehrkraft jederzeit durchführen kann.

Beispiel:
Eine Schülerin berichtet über die vom Lehrer vorgetragene Geschichte. An mehreren Stellen stockt sie, da ihr der passsende Begriff fehlt. Der Lehrer hilft durch Zuflüstern weiter. Die Schülerin verwendet falsche Präpositionen, die sinnentstellend sind und der Lehrer überformt mit der richtigen Präposition. Ein Begriff wird fehlerhaft betont bzw. ausgesprochen und eine Mitschülerin gibt überformend die richtige Sprechweise. Das Beispiel zeigt, dass Lehrkräfte Sprachfehler diagnostizieren und ungeplant und zufällig darauf mit mehr oder weniger sicherem Gespür und Geschick reagieren. Es gilt, diese Chancen zu nutzen und die Diagnose und Rückmeldung zu professionalisieren. Es gilt, den Diagnose-Radar permanent eingeschaltet zu haben, um Sprachhürden und Sprachprobleme wie in dem Beispiel zu diagnostizieren.

Die Lehrkraft mit wachem Auge und geschultem Ohr, hört und sieht Sprachfehler, registriert erfahrungsbasiert Sprachstände und weiß, wem sie wann wie mit Sprachhilfen weiterhelfen kann und muss. Vor allem schafft die Lehrkraft eine angstfreie Sprechatmosphäre, reagiert mit Geduld und Gelassenheit, mit professioneller Routine, die Sicherheit und Vertrauen ausstrahlt.

"Eine gute Lehrkraft diagnostiziert mit Herz und Verstand.“

Der Blick, die Zuwendung, die Aufmerksamkeit haben u. U. mehr Wirkung als Diagnoseverfahren. Eine gute Lehrkraft diagnostiziert mit Herz und Verstand. Um das zu erlernen, ist eine eintägige Fortbildungsveranstaltung kaum das geeignete Format. Hierzu bedarf es der Freude am Beruf, der Zuwendung zu lernenden anvertrauten Menschen, des Willens, eine hinreichende Lehrkompetenz und Lehrperformanz zu erwerben. Es ist die zweite, nichthandwerkliche Seite des Lehrberufs. Das informelle situative Diagnostizieren ist gebunden an ein schnelles Reagieren der Lehrkraft im laufenden Unterrichtsgeschehen. Erfahrungsgemäß ist das, vergleichbar mit der Moderation/ Gesprächsführung, ein sehr anspruchsvoller Bereich der Lehrprofession. Die „drei widerstreitenden Schwestern“

Neben der Diagnose ist die Rückmeldung an den Schüler fundamental wichtig. Beim Sprachlernen nimmt die Fehlerkorrektur eine Schlüsselstelle ein. Lehrkräfte neigen dazu, alle Sprachfehler gleichzeitig korrigieren zu wollen, oder sie glauben es zu müssen. So erwarten sie, dass die Lerner gleichzeitig richtig, flüssig und komplex sprechen. Um Lehrkräften die Situation plastisch und eindringlich zu vergegenwärtigen, empfiehlt sich das Bild der „drei widerstreitenden Schwestern“ Sprachrichtigkeit, Sprachflüssigkeit und Sprachkomplexität:

Die 'drei widerstreitenden Schwestern' Die "drei widerstreitenden Schwestern"

Lehrkräften muss bewusst sein, dass nicht alle drei Bereiche vom Lernenden gleichzeitig kontrollierbar sind. Die Lerner haben ein Recht darauf zu erfahren, worauf momentan der Schwerpunkt liegt. Wer auf Sprachrichtigkeit fixiert ist, dem wird es an Sprachflüssigkeit mangeln und die Sprachkomplexität reduzieren. Wer letztere mutig angeht, wird durchgängige auf Sprachrichtigkeit verzichten müssen.

Die Konfrontation mit eigenen sprachlichen Defiziten ist für jeden Sprachlerner eine unangenehme und bloßstellende Situation; dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei diesem Lerner nun um einen Jugendlichen oder einen Erwachsenen handelt. Mit Fehlern muss deshalb behutsam und einfühlsam umgegangen werden. Es sollte aber auch keine Scheu bestehen, Dinge beim Namen zu nennen und Fehler anzusprechen. Wichtig ist dabei nur, eine offene und angstfreie Unterrichtsatmosphäre zu schaffen, in der

"Lerner müssen die helfende, positive Grundhaltung des Lehrers spüren.“

Lerner die helfende – also positive – Grundhaltung des Lehrenden spüren. Dazu muss die Lehrkraft die Lerner in eine Lern- (und nicht in eine Bewertungs-)umgebung bringen. Denn Lerner, die sich in einem Lernraum wähnen, wollen auch Fehler machen dürfen. Lerner, die sich in einem Leistungsbewertungsraum wähnen, wollen hingegen gerade keine Fehler machen. Ziel muss sein, das Könnensbewusstsein der Lerner zu stärken, Fortschritte deutlich zu machen, Hilfen zu geben und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Je mehr die Fehlerarbeit als selbstverständlicher Teil des Unterrichts empfunden wird, desto weniger wird diese von den Lernern als diskriminierend empfunden. Es gilt somit, eine entsprechende „Fehlerkultur“ im Unterricht zu etablieren.

Nun ist aber eine Fehlerdiagnostik für Fachlehrkräfte, die nicht als Fremdsprachenlehrer ausgebildet sind, herausfordernd (vgl. Leisen 2013, Band 1, S. ). Nachfolgend deshalb einige einführende Hinweise:

  • Fachlehrkräfte bekommen in der Regel einen großen Schreck, wenn sie erstmals schriftliche Arbeiten ihrer fremdsprachigen Lerner zu Gesicht bekommen. Denn häufig täuscht die mündliche Kompetenz vieler DaZ-Lerner (jedenfalls zunächst) über Schwächen in der Schriftlichkeit hinweg. Fachlehrkräfte neigen deshalb dazu, die vermeintliche, im Mündlichen wahrgenommene Kompetenz kurzerhand auch auf die Schriftlichkeit zu übertragen. Die Kompetenzen im Schriftlichen hinken jedoch in aller Regel jenen des Mündlichen hinterher; davon mögen sich Fachlehrkräfte also nicht beunruhigen lassen.
  • Der Umgang mit Fehlern – die Fehlerkorrektur – braucht Unterrichtszeit, die evtl. beim fachlichen Lernen fehlt. Zu diesem Dilemma gibt es leider keine Alternative. Der Sprachstand der Lerner ist, wie er ist; und das ist die Ausgangsbasis. Ein Fortschreiten ohne sprachsensible Fehlerkorrektur schafft nur kurzfristige Zeitersparnisse.
  • Fehlerarbeit führt erst langfristig zu Erfolgen. Fossilierte Sprachstrukturen aufzubrechen und zu korrigieren ist mühsam, kostet viel Zeit, erfährt Rückschläge und braucht einen langen Atem aller Beteiligten.
  • Ein guter Umgang mit Fehlern schafft eine Sprachbewusstheit, die den Lernern ermöglicht, die eigenen sprachlichen Äußerungen selbst zu bewerten und gegebenenfalls zu korrigieren. Somit spielen sowohl die Fehlerarbeit selbst als auch die Atmosphäre, in der diese erfolgt, eine große Rolle für die aktuelle und künftige aktive Ermunterung von Lernern zur Beteiligung am Sprachförderprozess.
  • Fehlerarbeit ist immer nur Arbeit an solchen Fehlern, die besonders häufig vorkommen oder besonders gravierend sind, also schwerpunktmäßig vorkommen. Da niemand alle seine Fehler auf einmal verbessern kann, setzt Sprachförderung auch nur an jeweils einzelnen Fehlerschwerpunkten an, geht gestuft vor und bietet dazu gezielte Hilfen an. So sollte sich beispielsweise die Fehlerkorrektur der Lehrkraft durch Überformung nicht zu sehr vom Original entfernen und nicht zu elaboriert sein. Die Überformung muss im Sprach- und Verstehenshorizont der Lerner bleiben.